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Mittwoch, 18. Juli 2012

Muskelfaserzusammensetzung verschiedener Muskelgruppen


 In diesem Artikel geht es darum, wie sich die verschiedenen Muskelgruppen im Körper hinsichtlich ihrer Faserzusammensetzung unterscheiden. Wer keine Lust auf Lesen hat, kann sich dieses 8 minütige Video zum Artikel anschauen.



Zunächst hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung über die Muskelfasern.
Es gibt grundlegend zwei Typen von Muskelfasern die sog. "Slow Twitch" und "Fast Twitch" 

Muskelfasern, was soviel bedeutet wie "langsam zuckend" und "schnell zuckend" und bezieht sich darauf, wie schnell die jeweilige Muskelfaser die maximale Kontraktion erreicht.
Auch unterscheiden sie sich in weiteren Punkten wie beispielsweise der Ermüdungsresistenz. Die FT-Fasern ermüden dabei wesentlich schneller als die ST-Fasern. Wie viele ST und FT-Fasern ein Mensch besitzt, ist weitgehend genetisch festgelegt und von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Jedoch können wir durch spezielles Training den Querschnitt der einzelnen Fasern selektiv vergrößern.
Es können nach bisherigen Erkenntnissen keine ST- in FT-Fasern umgewandelt werden; durch Ausdauertraining können aber FT- in ST-Fasern umgewandelt werden.
Es ist relativ aufwendig das Verhältnis von ST- und FT-Fasern für einen Menschen bzw. genauer, für einen Muskel zu bestimmen. Hierfür ist eine schmerzhafte und nicht ungefährliche Muskelbiopsie erforderlich. Diese wird im Allg. nur vorgenommen, wenn ernsthaftere Erkrankungen zugrunde liegen.
Man kann jedoch durch einen Test das Verhältnis der ST- und FT-Fasern "abschätzen", was jedoch nicht sonderlich genau ist. Einfach mal Google diesbezüglich bemühen.
Praktisch gesehen haben wir daher keine Möglichkeit unsere Muskelfaserzusammensetzung eines jeden Muskels zu bestimmen, wobei die individuellen genetischen Unterschiede für uns als Schnellkraftsportler ohnehin eine untergeordnete Rolle spielen, da wir sie nach aktuellem Forschungsstand als gegeben hinnehmen müssen.
Uns bleibt also nur übrig, nach allgemeinen Grundsätzen unser Training aufzubauen und hier kann man ganz klar die verschiedenen Muskelgruppen hinsichtlich ihrer natürlichen Beanspruchungsformen einteilen. Dies hilft uns, da die primäre Belastungsform einer Muskelgruppe einen Anhaltspunkt über die ST- und FT-Faserzusammensetzung geben kann.
Dies ist dann bei allen Menschen gleich, das heißt auch ein Sprinter wird verglichen mit seiner restlichen Muskulatur im Körper einen verhältnismäßig hohen Anteil an "Slow Twitch" Fasern im Bereich des Nackens aufweisen. Warum im Nacken? Weil der Nacken unseren Kopf den ganzen Tag tragen muss und zu diesem Zweck eine primär ausdauernde und stützende Muskulatur vorliegen sollte.
Eine ähnliche Abschätzung wie für die Nackenmuskulatur machen wir nun für den Großteil der Skelettmuskeln des Menschen. Hierbei müssen wir immer schauen, wie wird eine Muskelgruppe über den Tag gesehen primär genutzt. Überwiegt also eher eine ausdauernde, länger anhaltende Belastung oder eher eine kurze Belastung.
Dabei kategorisieren wir die Muskelgruppen hinsichtlich ihrer Faserverhältnisse gemessen an dem persönlichen individuellen "Durchschnittswert".


Muskelgruppe
ST/FT-Fasern
Dominierende Beanspruchung
Waden
ST (- X - - -) FT
Stehen und Gehen
Quadriceps (Beinstrecker)
ST (- - X - -) FT
Stehen,Gehen,Laufen,Springen
Beinbizeps
ST (- - - X -) FT
Laufen, Rennen
Gluteaus (Hintern)
ST (- X - - -) FT
Aufrechter Gang, Stehen, Springen
Brust
ST (- - - X -) FT
Armbewegungen nach vorne, keine andauernden Belastungen

Schultern
ST (- - - X -) FT
Bewegungen des Armes, Stabilisation des Schultergelenks
Bizeps&Trizeps
ST (- - - - X) FT
Beugung und Streckung des Armes
Oberer rücken
ST (- - - X -) FT
Oberarmführung nach hinten
Breiterrückenmuskel
ST (- - - X -) FT
Armführung nach unten
Unterarme
ST (- - X - -) FT
Greifen, Halten
Nackenmuskulatur
ST (X - - - -) FT
Stabilisation der HWS, Halten des Kopfes
Andere Rumpfmuskulatur (unterer Rücken, Bauch u.ä.)
ST (X - - - -) FT
Stabilisation der Wirbelsäule, Kippen und Drehen des Beckens



Wie wir sehen, haben wir bei den für die Beinstreckung verantwortlichen Muskelgruppen wie Waden, Beinstrecker und Gluteaus eine leichte Verteilung hin zu den ST-Fasern, im Beinbizeps haben wir sogar eine leichte Präferenz zu FT-Fasern.
Im Oberkörper haben wir, die Rumpfmuskulatur ausgenommen, eine sehr deutliche Präferenz hin zu FT-Fasern. Die Rumpfmuskulatur und die Muskulatur der Wirbelsäule u.a. Nacken und Rückenstrecker haben einen klare Präferenz für ST-Fasern, da sie primär haltende und lang andauernde Tätigkeiten vollbringen.
Nehmen wir nun noch hinzu, dass FT-Fasern schneller und stärker hypertrophieren, sollte klar werden, dass nicht nur fehlendes oder falsch ausgeführtes Beintraining für den klassischen "Discopumper-Look" verantwortlich sind, sondern vor allem die unterschiedlich schnelle und starke Hypertrophie der Muskeln des Oberkörpers und des Unterkörpers.
Auch wird klar, dass die Rumpfmuskulatur bei einem klassischen Fitnessstudio-Training "3 Sätze, 10 Wiederholungen" mit einem beliebigen Bauchtrainingsgerät nie die Reizsetzung bekommt, die sie benötigt, um adäquat zu funktionieren.
Im Bereich der Beine und des Oberkörpers gilt für uns so oder so die Maximierung der Schnellkraft, das heißt, wir können und wollen das Training nicht auf die ST-Fasern ausrichten, sondern müssen uns wohl oder übel auf die FT-Fasern konzentrieren, egal wie hoch ihr Anteil nun letztendlich ist.
Der Anteil determiniert hier primär unser maximales Leistungspotential, was jedoch aufgrund fehlerhaften Trainings und Verletzungen sowieso in den seltensten Fällen wirklich erreicht wird und wie schnell wir Leistungssteigerungen aufgrund von Krafttraining erwarten können.
Die Rumpfmuskulatur besitzt jedoch eine sehr starke Ausprägung hin zu ST-Fasern, wodurch wir hier mit einem reinen FT-Faser-Training keine große Wirkung erzielen und zum anderen eine sehr schnelle Aktivierung hier nicht in der Form nötig ist, da sie kaum reflexwirkend tätig ist und bei sportlicher Belastung durchgehend unter einer hohen Voraktivierung bzw. Grundaktivierung arbeitet.
Die Rumpfmuskulatur bedarf also ein spezielles Training, was eher in den Bereich Kraftausdauer und später Kraftausdauer mit Zusatzgewicht fällt.


Für Sportler:
Für Sportler, die Schnellkraft benötigen, ergeben sich anhand obiger Erkenntnisse nun folgende Schlussfolgerungen.
Krafttraining der Oberkörper- und Unterkörpermuskulatur richtet sich auf die FT-Fasern aus und besitzt seinen Training"schwerpunkt" in der Entwicklung der Maximalkraft mit Wiederholungen im Bereich 1-6 mit periodisierten, sinnvoll eingebauten Hypertrophiephasen mit 8-12 Wiederholungen.
Spezielles Training der ST-Fasern, also lang anhaltende Belastungsdauer, ist nicht sinnvoll. Sie besitzen zwar ebenfalls ein kleineres Hypertrophierungspotential und können die Maximalkraft steigern, jedoch ist die dadurch gewonnene zusätzliche Kraft auf Schnellkraftdisziplinen nur bedingt übertragbar.
Des Weiteren erhöhen sie bei Hypertrophie das eigene Körpergewicht, was gepaart mit obigem Effekt dazu führt, dass sich unsere sportlich nützliche Relativkraft, also die Kraft in Relation zu unserem Körpergewicht, verschlechtert. Die Relativkraft ist dabei bei allen Bewegungen, in denen wir unseren Körper beschleunigen müssen, die ausschlaggebende Größe.
Die Rumpfmuskulatur ist jedoch enorm wichtig für unsere sportlichen Leistungen und für die Verletzungsprophylaxe sowie Gesundheit und Lebensqualität im Alter. Wir müssen sie gerade als Sportler gezielt trainieren und nicht nach dem klassischen Schema "3 Sätzen und 10 Wiederholungen" vorgehen, sondern mit lang anhaltenden statischen sowie teilweise dynamischen Stabilisationsübungen trainieren.


Für Bodybuilder:
Für Bodybuilder gilt hinsichtlich der Rumpfmuskulatur Ähnliches wie für Athleten, d.h. die Rumpfmuskulatur muss hier ebenfalls länger belastet werden. Der Unterschied zum Athleten liegt darin, dass hier auf viele Übungen zwecks Intensitätssteigerung verzichtet werden kann.
Beispielsweise sind viele Rotationsübungen, Medizinballarbeit u. ä. Für Bodybuilder effektivitätstechnisch nur bedingt geeignet. Denn bei diesen Übungen geht es neben dem Training der Rumpfmuskulatur auch darum, die "Bewegung" an sich zu lernen, um so die Kräfte zwischen Oberkörper und Unterkörper zum Boden in verschiedenen räumlichen Positionen zu übertragen.
Nichts desto trotz können natürlich auch Rotationsübungen zwecks Verletzungsvorbeugung ab und an eingebaut werden. Der Fokus liegt hier jedoch auf "einfachen" zielführenden Übungen.
Das Oberkörper- und Unterkörpertraining für Bodybuilder sollte jedoch aufgrund der Faserzusammensetzung teilweise unterschiedlich ablaufen.
Für den Unterkörper sollte im Rahmen der Trainingsperiodisierung phasenweise (2-4 Wochen) insb. für die Waden, Beinstrecker und Gluteaus in höhere Wiederholungsbereich vorgedrungen werden, um "mehr" ST-Fasern zum Wachstum zu bringen. Es muss aber klar sein, dass man damit keine Berge bewegen wird, das Ganze ist eher als "Bonus"-Dreingabe zu verstehen. Man sollte daher aufgrund der geringeren und langsamen Hypertrophie der ST-Fasern keine Wunder erwarten. Auch sollte man aufpassen, da eine Umwandlung FT zu ST absolut unerwünscht ist. Diese Technik in der Periodisierung sollte ebenfalls nur von fortgeschrittenen Bodybuildern, sagen wir über 3 Jahre Trainingserfahrung, vereinzelt genutzt werden. Bei kürzeren Trainingszeiten erzielt man definitiv mit einer gewöhnlichen Periodisierung Hypertrophie-Maxkraft-Hypertrophie bessere und schneller Ergebnisse.
Bei den Wiederholungszahlen sollte nicht vergessen werden, dass sie nur ein Hilfsmittel darstellen. Eigentlich geht es uns um die TUT=Time under Tension, also die Zeit unter Spannung. Die Wiederholungszahlen sind im Bodybuilding eigentlich nur eine Approximation der TUT, um es im Krafttraum praktikabler zu gestalten. Beispielhaft führen wir beim Wadenheben i.d.R. schon 20 Wiederholungen aus, da eine Wiederholung hier wesentlich schneller geht; kleinere TUT pro Wiederholung als bei einer Kniebeuge.
Wichtiger Hinweis ist das hohe Wiederholungszahlen NICHT mit Übungen ausgeführt werden sollten, bei denen die Technik maßgeblich für die Gesundheit des Athleten ist. Dies schließt beispielsweise Kniebeugen mit Zusatzgewichten und Kreuzheben für hohe Wiederholungen aus. Daher sollte man sich hier eher mit Isolationsübungen zufriedengeben.

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